Frühjahr 1888 14 [101-227]
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Warum die Schwachen siegen.
In summa: die Kranken und Schwachen haben mehr Mitgefühl, sind “menschlicher” —
: die Kranken und Schwachen haben mehr Geist, sind wechselnder, vielfacher, unterhaltender,—boshafter: die Kranken allein haben die Bosheit erfunden.
(eine krankhafte Frühreife häufig bei Rhachitischen, Skrofulosen und Tuberkulosen.—)
esprit: Eigenthum später Rassen (Juden, Franzosen, Chinesen) Die Antisemiten vergeben es den Juden nicht, daß die Juden “Geist” haben—und Geld: der Antisemitismus, ein Name der “Schlechtweggekommenen”)
: der Narr und der Heilige—die zwei interessantesten Arten Mensch ...
in enger Verwandtschaft das “Genie” die großen “Abenteurer und Verbrecher”
: die Kranken und Schwachen haben die Fascination für sich gehabt, sie sind interessanter als die Gesunden
und alle Menschen, die gesündesten voran, sind gewisse Zeiten ihres Lebens krank:—die großen Gemüthsbewegungen, die Leidenschaft der Macht, die Liebe, die Rache sind von tiefen Störungen begleitet ...
Und was die décadence betrifft: so stellt sie jeder Mensch, der nicht zu früh stirbt, in jedem Sinne beinahe dar:—er kennt also auch die Instinkte, welche zu ihr gehören, aus Erfahrung —
: für die Hälfte fast jedes Menschenlebens ist der Mensch décadent.
Endlich: das Weib! die Eine Hälfte der Menschheit ist schwach, typisch-krank, wechselnd, unbeständig—das Weib braucht die Stärke, um sich an sie zu klammern,—und eine Religion der Schwäche, welche es als göttlich verherrlicht, schwach [zu] sein, zu lieben, demüthig zu sein ...
oder, besser, es macht die Starken schwach,—es herrscht, wenn es gelingt, die Starken zu überwältigen ...
das Weib hat immer mit den Typen der décadence, den Priestern zusammen conspirirt gegen die “Mächtigen”, die “Starken”, die Männer —
das Weib bringt die Kinder bei Seite für den Cultus der Pietät, des Mitleids, der Liebe—die Mutter repräsentirt den Altruismus überzeugend ...
Endlich: die zunehmende Civilisation, die zugleich nothwendig auch die Zunahme der morbiden Elemente, des Neurotisch-Psychiatrischen und des Criminalistischen mit sich bringt ...
eine Zwischen-species entsteht, der Artist, von der Criminalität der That durch Willensschwäche und sociale Furchtsamkeit abgetrennt, insgleichen noch nicht reif für das Irrenhaus, aber mit seinen Fühlhörnern in beide Sphären neugierig hineingreifend: diese spezifische Cultur-Pflanze, der moderne Artist, Maler, Musiker, vor allem romancier, der für seine Art zu sein das sehr uneigentliche Wort “naturalisme” handhabt ...
Die Irren, die Verbrecher und die “Naturalisten” nehmen zu: Zeichen einer wachsenden und jäh vorwärts eilenden Cultur—das heißt der Ausschuß, der Abfall, die Auswurfstoffe gewinnen Importanz,—das Abwärts hält Schritt ...
Endlich: der sociale Mischmasch, Folge der Revolution, der Herstellung gleicher Rechte, des Aberglaubens an “gleiche Menschen”. Dabei mischen sich die Träger der Niedergangs-Instinkte (des ressentiment, der unzufriedenheit, des Zerstörer-Triebs, des Anarchismus und Nihilismus), eingerechnet der Sklaven-Instinkte, der Feigheits-, Schlauheits- und Canaillen-Instinkte der lange unten gehaltenen Schichten in alles Blut aller Stände hinein: zwei, drei Geschlechter darauf ist die Rasse nicht mehr zu erkennen—Alles ist verpöbelt. Hieraus resultirt ein Gesammtinstinkt gegen die Auswahl, gegen das Privilegium jeder Art, von einer Macht und Sicherheit, Härte, Grausamkeit der Praxis, daß in der That sich alsbald selbst die Privilegirten unterwerfen:
— was noch Macht festhalten will, schmeichelt dem Pöbel, muß den Pöbel auf seiner Seite haben —
die “Genies” voran: sie werden Herolde der Gefühle, mit denen man Massen begeistert—die Note des Mitleids, der Ehrfurcht selbst vor Allem, was leidend, niedrig, verachtet, verfolgt gelebt hat, klingt über alle anderen Noten weg (Typen: V[ictor]. Hugo und R[ichard]. Wagner).
die Heraufkunft des Pöbels bedeutet noch einmal die Heraufkunft der alten Werthe ...
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Bei einer solchen extremen Bewegung in Hinsicht auf tempo und Mittel, wie sie unsere Civilisation darstellt, verlegt sich das Schwergewicht der Menschen: der Menschen, auf die [es] am meisten ankommt, die es gleichsam auf sich haben, die ganze große Gefahr einer solchen krankhaften Bewegung zu compensiren;—es werden die Verzögerer par excellence, die Langsam-Aufnehmenden, die Schwer-Loslassenden, die Relativ-Dauerhaften inmitten dieses ungeheuren Wechselns und Mischens von Elementen sein. Das Schwergewicht fällt unter solchen Umständen nothwendig den Mediokren zu: gegen die Herrschaft des Pöbels und der Excentrischen (beide meist verbündet) consolidirt sich die Mediokrität, als die Bürgschaft und Trägerin der Zukunft. Daraus erwächst für die Ausnahme-Menschen ein neuer Gegner—oder aber eine neue Verführung. Gesetzt, daß sie sich nicht dem Pöbel anpassen und dem Instinkte der “Enterbten” zu Gefallen Lieder singen, werden sie nöthig haben, “mittelmäßig” und “gediegen” zu sein. Sie wissen: die mediocritas ist auch aurea,—sie allein sogar verfügt über Geld und Gold (—über Alles was glänzt ...) ... Und noch einmal gewinnt die alte Tugend, und überhaupt die ganze verlebte Welt des Ideals eine begabte Fürsprecherschaft ... Resultat: die Mediokrität bekommt Geist, Witz, Genie,—sie wird unterhaltend, sie verführt ...
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Resultat. Ich sage noch ein Wort von der dritten Kraft. Das Handwerk, der Handel, der Ackerbau, die Wissenschaft, ein großer Theil der Kunst—das Alles kann nur stehen auf einem breiten Boden, auf einer stark und gesund consolidirten Mittelmäßigkeit. In ihrem Dienste und von ihr bedient arbeitet die Wissenschaft—und selbst die Kunst. Die W[issenschaft] kann es sich nicht besser wünschen: sie gehört als solche zu einer mittleren Art Mensch,—sie ist deplacirt unter Ausnahmen,—sie hat nichts Aristokratisches und noch weniger etwas Anarchistisches in ihren Instinkten.— Die Macht der Mitte wird sodann aufrecht gehalten durch den Handel, vor allem den Geldhandel: der Instinkt der Großfinanciers geht gegen alles Extreme,—die Juden sind deshalb einstweilen die conservirendste Macht in unserem so bedrohten und unsicheren Europa. Sie können weder Revolutionen brauchen, noch Socialismus, noch Militarismus: wenn sie Macht haben wollen und brauchen auch über die revolutionäre Partei, so ist dies nur eine Folge des Vorhergesagten und nicht im Widerspruch dazu. Sie haben nöthig, gegen andere extreme Richtungen gelegentlich Furcht zu erregen—dadurch daß sie zeigen, was Alles in ihrer Hand steht. Aber ihr Instinkt selbst ist unwandelbar conservativ—und “mittelmäßig” ... Sie wissen überall, wo es Macht giebt, mächtig zu sein: aber die Ausnützung ihrer Macht geht immer in Einer Richtung. Das Ehren-Wort für mittelmäßig ist bekannt[lich] das Wort “liberal” ...
etwas, das nicht witzig und nicht einmal wahr ist ...
Besinnung.— Es ist unsinnig, voraus[zu]setzen, daß dieser ganze Sieg der Werthe antibiologisch sei: man muß suchen, ihn zu erklären aus einem Interesse des Lebens
die Aufrechterhaltung des Typus “Mensch” selbst durch diese Methodik der Überherrschaft der Schwachen und Schlechtweggekommenen —
: im anderen Falle existirte der Mensch nicht mehr?
Problem - - -
Die Steigerung des Typus verhängnißvoll für die Erhaltung der Art?
warum?
die Erfahrungen der Geschichte:
die starken Rassen dezimiren sich gegenseitig: Krieg, Machtbegierde, Abenteuer; ihre Existenz ist kostspielig, kurz,—sie reiben sich unter einander auf —
die starken Affekte: die Vergeudung—es wird Kraft nicht mehr kapitalisirt ...
die geistige Störung, durch die übertriebene Spannung—es treten Perioden tiefer Abspannung und Schlaffheit ein alle großen Zeiten werden bezahlt ...
die Starken sind hinterdrein schwächer, willenloser, absurder als die durchschnittlich-Schwachen
Es sind verschwenderische Rassen. —
Die “Dauer” an sich hätte ja keinen Werth: man möchte wohl eine kürzere, aber werthreichere Existenz der Gattung vorziehen.
Es bliebe übrig, zu beweisen, daß selbst so ein reicherer Werthertrag erzielt würde, als im Fall der kürzeren Existenz.
d.h. der Mensch als Aufsummirung von Kraft gewinnt ein viel höheres Quantum von Herrschaft über die Dinge, wenn es so geht, wie es geht ...
Wir stehen vor einem Problem der Oekonomie - - -