Frühjahr 1888 14 [101-227]
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Gegenbewegung: Religion
Moral als décadence
Reaktion der kleinen Leute:
das höchste Gefühl der Macht giebt die Liebe
Zu begreifen, in wiefern hier nicht der Mensch überhaupt, sondern eine Art Mensch redet. Diese ist näher auszugraben
“wir sind göttlich in der Liebe, wir werden ‘Kinder Gottes,’ Gott liebt uns und will gar nichts von uns, als Liebe”
das heißt: alle Moral, alles Gehorchen und Thun, bringt nicht jenes Gefühl von Macht und Freiheit hervor, wie es die Liebe hervorbringt
— aus Liebe thut man nichts Schlimmes, man thut viel mehr als man aus Gehorsam und Tugend thäte —
— hier ist das Heerdenglück, das Gemeinschafts-Gefühl im Großen und Kleinen, das lebendige Eins-Gefühl als Summe des Lebensgefühls empfunden
— das Helfen und Sorgen und Nützen erregt fortwährend das Gefühl der Macht, der sichtbare Erfolg, der Ausdruck der Freude unterstreicht das Gefühl der Macht
— der Stolz fehlt nicht, als Gemeinde, als Wohnstätte Gottes, als “Auserwählte.” —
Thatsächlich hat der Mensch nochmals eine Alteration der Persönlichkeit erlebt: dies Mal nannte er sein Liebesgefühl Gott
man muß ein Erwachen eines solchen Gefühls sich denken, eine Art Entzücken, eine fremde Rede, ein “Evangelium” —
diese Neuheit war es, welche ihm nicht erlaubte, sich die Liebe zuzurechnen—: er meinte, daß Gott vor ihm wandele, und in ihm lebendig geworden sei —
“Gott kommt zu den Menschen,” der “Nächste” wird transfigurirt, in einen Gott (insofern an ihm das Gefühl der Liebe sich auslöst) Jesus ist der Nächste, so wie dieser zur Gottheit, zur Machtgefühl erregenden Ursache umgedacht wurde.