Frühjahr 1888 14 [101-227]
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Moral
Daß der Werth einer Handlung von dem abhängen soll, was ihr im Bewußtsein vorausgieng—wie falsch ist das!— Und man hat die Moralität danach bemessen, selbst die Criminalität ...
Man hat gemeint, man müsse ihre Folgen wissen: und die naiven Psych[ologen] von ehedem sagten — — —
Der Werth einer Handlung muß aus ihren Folgen bemessen werden—sagen die Utilitarier:—sie nach ihrer Herkunft zu messen, implicirt eine Unmöglichkeit, nämlich diese zu wissen.
Aber weiß man die Folgen? Fünf Schritt weit vielleicht. Wer kann sagen, was eine Handlung anregt, aufregt, wider sich erregt? Als Stimulans? als Zündfunke vielleicht für einen Explosivstoff? ... Die Utilitarier sind naiv ... Und zuletzt müßten wir erst wissen, was nützlich ist: auch hier geht ihr Blick nur fünf Schritt weit... Sie haben keinen Begriff von der großen Ökonomie, die des Übels nicht zu entrathen weiß—.
Man weiß die Herkunft nicht, und weiß die Folgen nicht:—hat folglich eine Handlung überhaupt einen Werth? ...
Bleibt die Handlung selbst: ihre Begleiterscheinungen im Bewußtsein, das Ja und das Nein, das ihrer Ausführung folgt: liegt der Werth einer Handlung in den subjektiven Begleiterscheinungen—? Sicherlich begleiten sie Werthgefühle, ein Macht- ein Zwang- ein Ohnmachtgefühl z.B., die Freiheit, die Leichtigkeit, anders gefragt: könnte man den Werth einer Handlung auf physiologische Werthe reduziren: ob sie ein Ausdruck des vollständigen oder gehemmten Lebens ist? der biologische Werth einer Handlung?
ist es erlaubt, ihren Werth nach Begleiterscheinungen abzumessen, nach Lust und Unlust, dem Spiel der Affekte, dem Gefühl der Entladung, Explosion, Freiheit ...
es mag sein, daß sich ihr biologischer Werth darin ausdrückt ...
das hieße den Werth der Musik nach dem Vergnügen oder Mißvergnügen abmessen, das sie uns macht ... das sie ihrem Componisten macht ...
Wenn also die Handlung weder nach ihrer Herkunft, noch nach ihren Folgen, noch nach ihren Begleiterscheinungen abwerthbar ist, so ist ihr Werth x, unbekannt ...
Also: hat eine Handlung keinen Werth.
In summa, in der Sprache des Kirchenliedes: “Kreuch fleug und schleich auf Gottes Wegen”