Frühjahr 1888 14 [101-227]
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Begriff “Egoismus”
Es gehört zum Begriff des Lebendigen, daß es wachsen muß,—daß es seine Macht erweitert und folglich fremde Kräfte in sich hineinnehmen muß. Man redet, unter der Benebelung durch die Moral-Narkose, von einem Recht des Individuums, sich zu vertheidigen: im gleichen Sinne dürfte man auch von seinem Rechte anzugreifen reden: denn Beides—und das Zweite noch mehr als das Erste—sind Necessitäten für jedes Lebendige—der aggressive und der defensive Egoismus sind nicht Sache der Wahl oder gar des “freien Willens”, sondern die Fatalität des Lebens selbst.
Hierbei gilt es gleich, ob man ein Individuum oder einen lebendigen Körper, eine aufwärtsstrebende “Gesellschaft” ins Auge faßt. Das Recht zur Strafe (oder die gesellschaftliche Selbstvertheidigung) ist im Grunde nur durch einen Mißbrauch zum Worte “Recht” gelangt: ein Recht wird durch Verträge erworben,—aber das Sich-wehren und Sich-vertheidigen ruht nicht auf der Basis eines Vertrags. Wenigstens dürfte ein Volk mit ebensoviel gutem Sinn sein Eroberungsbedürfniß, sein Machtgelüst, sei es mit Waffen, sei es durch Handel, Verkehr und Colonisation als Recht bezeichnen,—Wachsthums-Recht etwa. Eine Gesellschaft, die endgültig und ihrem Instinkt nach den Krieg und die Eroberung abweist, ist im Niedergang: sie ist reif für Demokratie und Krämerregiment ... In den meisten Fällen freilich sind die Friedensversicherungen bloße Betäubungsmittel