Frühjahr 1888 14 [101-227]
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Anti-Darwin
Die Domestikation des Menschen: welchen definitiven Werth kann sie haben? oder hat überhaupt eine Domestikation einen definitiven Werth?— Man hat Gründe, dies letztere zu leugnen.
Die Schule Darwins macht zwar große Anstrengung, uns zum Gegentheil zu überreden: sie will, daß die Wirkung der Domestikation tief, ja fundamental werden kann. Einstweilen halten wir am Alten fest: es hat sich Nichts bisher bewiesen, als eine ganz oberflächliche Wirkung durch Domestikation—oder aber die Degenerescenz. Und Alles, was der menschlichen Hand und Züchtung entschlüpft, kehrt fast sofort wieder in seinen Natur-Zustand zurück. Der Typus bleibt constant: man kann nicht “dénaturer la nature.”
Man rechnet auf den Kampf um die Existenz den Tod der schwächlichen Wesen und das Überleben der Robustesten und Bestbegabten; folglich imaginirt man ein beständiges Wachsthum der Vollkommenheit für die Wesen. Wir haben uns umgekehrt versichert, daß, in dem Kampfe um das Leben, der Zufall den Schwachen so gut dient, wie den Starken, daß die List die Kraft oft mit Vortheil sich supplirt, daß die Fruchtbarkeit der Gattungen in einem merkwürdigen Rapport zu den Chancen der Zerstörung steht ...
Man theilt der natürlichen Selection zugleich langsame und unendliche Metamorphosen zu: man will glauben, daß jeder Vortheil sich vererbt und sich in abfolgenden Geschlechtern immer stärker ausdrückt (während die Erblichkeit so capriciös ist ...); man betrachtet die glücklichen Anpassungen gewisser Wesen an sehr besondere Lebensbedingungen und man erklärt, daß sie durch den Einfluß der milieux erlangt sind. Man findet aber Beispiele der unbewußten Selection nirgendswo (ganz und gar nicht) Die disparatesten Individuen einigen sich, die extremen mischen sich in die Masse. Alles concurrirt, den Typus aufrecht zu erhalten; Wesen, die äußere Zeichen haben, die sie gegen gewisse Gefahren schützen, verlieren dieselben nicht, wenn sie unter Umstände kommen, wo sie ohne Gefahr leben ... Wenn sie Orte bewohnen, wo das Kleid aufhört, sie zu verbergen, nähern sie sich keineswegs dem Milieu an.
Man hat die Auslese der Schönsten in einer Weise übertrieben, wie sie weit über den Schönheitstrieb unserer eigenen Rasse hinausgeht! Thatsächlich paart sich das Schönste mit sehr enterbten Creaturen, das Größte mit dem Kleinsten. Fast immer sehen wir Männchen und Weibchen jeder zufälligen Begegnung profitiren und sich ganz und gar nicht wählerisch zeigen.
Modifikation durch Clima und Nahrung. Aber in Wahrheit absolut gleichgültig.
Es giebt keine Übergangsformen ..
Verschiedene Arten auf Eine zurückgeführt. Die Erfahrung sagt, daß die Einigung zur Sterilität verurtheilt und Ein Typus wieder Herr wird.
Man behauptet die wachsende Entwicklung der Wesen. Es fehlt jedes Fundament. Jeder Typus hat seine Grenze: über diese hinaus giebt es keine Entwicklung. Bis dahin absolute Regelmäßigkeit.
Die primitiven Wesen sollen die Vorfahren der jetzigen sein. Aber ein Blick auf die fauna und flora der Tertiärperiode erlaubt uns nur wie an ein noch unerforschtes Land zu denken, wo es Typen giebt, die anderwärts nicht existiren und einander verwandt und selbst die, die anderwärts existiren.
Meine Consequenzen
Meine Gesammtansicht.— Erster Satz: der Mensch als Gattung ist nicht im Fortschritt. Höhere Typen werden wohl erreicht, aber sie halten sich nicht. Das Niveau der Gattung wird nicht gehoben.
Zweiter Satz: der Mensch als Gattung stellt keinen Fortschritt im Vergleich zu irgend einem anderen Thier dar. Die gesammte Thier- und Pflanzenwelt entwickelt sich nicht vom Niederen zum Höheren ... Sondern Alles zugleich, und übereinander und durcheinander und gegeneinander.
Die reichsten und complexesten Formen—denn mehr besagt das Wort “höherer Typus” nicht—gehen leichter zu Grunde: nur die niedrigsten halten eine scheinbare Unvergänglichkeit fest. Erstere werden selten erreicht und halten sich mit Noth oben: letztere haben eine comprimittirende Fruchtbarkeit für sich.— Auch in der Menschheit gehen unter wechselnder Gunst und Ungunst die höheren Typen, die Glücksfälle der Entwicklung, am leichtesten zu Grunde.
Sie sind jeder Art von décadence ausgesetzt: sie sind extrem, und damit selbst beinahe schon décadents ... Die kurze Dauer der Schönheit, des Genies, des Caesar, ist sui generis: dergleichen vererbt sich nicht. Der Typus vererbt sich; ein Typus ist nichts Extremes, kein “Glücksfall” ...
Das liegt an keinem besonderen Verhängniß und “bösen Willen” der Natur, sondern einfach am Begriff “höherer Typus”: der höhere Typus stellt eine unvergleichlich größere Complexität,—eine größere Summe coordinirter Elemente dar: damit wird auch die Disgregation unvergleichlich wahrscheinlicher.
Das “Genie” ist die sublimste Maschine, die es giebt,—folglich die zerbrechlichste.
Dritter Satz: die Domestikation (“die Cultur”) des Menschen geht nicht tief ... Wo sie tief geht, ist sie sofort die Degenerescenz (Typus: der Christ) Der “wilde” Mensch (oder, moralisch ausgedrückt: der böse Mensch) ist seine Rückkehr zur Natur—und, in gewissem Sinne,—seine Wiederherstellung, seine Heilung von der “Cultur” ...