Frühjahr 1888 14 [101-227]
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Religion als décadence—die Überzeugung
Kritik des Opfertodes
Wir würden heute für manche Dinge in den Tod gehn, ohne dieses Opfer sehr feierlich zu nehmen, es liegt uns fern mit solchen Dingen Götzendienst zu treiben, bloß weil sie Menschen fordern ... Das berühmte “Vaterland” z.B., ein Begriff, der heute in Europa absonderlich theuer bezahlt wird: die noch berühmtere “Wissenschaft”, die, wie ich voraussetze, irgendwann einmal noch kostspieliger sogar werden dürfte, als der Begriff “Vaterland”
Ein Tod für ein — — —
Ist es nöthig, Recht zu haben, um Recht zu behalten? Im Gegentheil! Und abgesehen davon heißt es unbescheiden sein. Man muß nicht zu viel Ehre wollen ... Aber alle diese großen Weisen waren bescheiden:—sie behielten bloß Recht ...
Ihr meint eine Sache wird dadurch ehrenhaft, daß ihr mit eurem Leben dafür bezahlt? ... Ein Irrthum, der ehrenhaft wird, ist ein Irrthum, der eine Verführungskunst mehr besitzt! glaubt ihr, daß wir wünschen werden euch zu einem Opfertod für eure “Wahrheit” zu ermuthigen? ... Genau das war die welthistorische Dummheit aller Verfolger: sie zwangen ihre Gegner, Heroen zu werden ... sie haben alle Dummheiten zu Fetischen für die Menschheit gemacht ... Das Weib liegt heute noch auf den Knien vor einer Lehre, deren Lehrer am Kreuz gestorben ist ... ist das Kreuz ein Beweis?
Ein gewisser Grad von Glaube genügt uns heute als Einwand gegen das Geglaubte, noch mehr als Fragezeichen an der geistigen Gesundheit des Gläubigen: die “felsenfesten Überzeugungen” gehören fast immer ins Irrenhaus.